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Freie Liebe oder Freiheit und Liebe?

Vor einigen Jahren ließ ich mich durch die Dogmen anderer Menschen ein  bisschen verwirren. Also stellte ich einem meiner Lehrer – Daniel Odier, erwachter Meister einer uralten kashmirischen Tradition – eine Frage:

„Was hältst du von diesen offenen Beziehungen? Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich eine spirituelle Weiterentwicklung ist oder einfach nur esoterischer Schwachsinn.“

Da es in letzter Zeit viel Unsicherheit in Bezug auf „erwachte“ Beziehungen zu geben scheint, möchte ich die Essenz seiner etwa 10-minütigen Antwort in meinen eigenen Worten mit dir teilen:

„Das hängt davon ab, was du fühlst. Dulde keine Autorität über dir, sondern gehe nach deinem eigenen Gefühl! Alles kann schön sein. Wenn es da jemanden gibt, zu dem eine Anziehung da ist, kann man auch einfach das Gefühl genießen, ohne etwas mit ihm/ihr „anzufangen“ und ohne Projektion der Gefühle auf diesen Menschen. Liebe kann allumfassend sein, jedoch fühlt sich dies anders an als die erotische Liebe.
Wichtig ist auch, dass man sich für den Anderen nicht die Flügel stutzt (oder sie sich stutzen lässt) und dass man in der Achtsamkeit für den anderen und für sich selbst bleibt.“

Nun, mein Gefühl dazu ist, dass sich in einer offenen Beziehung die Energie aus der Tiefe zurückzieht und in die Breite fließt. Das kann einen Reichtum an verschiedenen Erfahrungen begünstigen, jedoch führt es gefühlt weg von der ursprünglichen Beziehung. Ein tiefes Einlassen ist nicht möglich.

In der systemischen Beratungspraxis zeigt sich immer wieder, dass in einer Liebesbeziehung ein Dritter (oder auch mehrere, und egal ob offen oder verheimlicht) eine wackelige Beziehung stabilisiert. Es scheint(!) also, als ob die ursprüngliche Beziehung wachsen und gedeihen würde. Was aber, wenn der oder die Dritte wieder verschwindet?

Die offene Beziehung ist ein Konzept aus der Neotantra-Schiene. Ein spiritueller Weg beinhaltet jedoch, sich von Konzepten zu befreien. Eine Liebe ohne Konzepte kann frei in jede Form fließen, die wir ihr mit unserer bewussten Entscheidung geben möchten. Somit ist die bewusste und freie Entscheidung für eine monogame Beziehung freie Liebe! 

Also fragen wir uns:
Wo bin ich in meinen Beziehungen frei und wo lebe ich nach Konzepten oder übernommenen Mustern? Ist meine monogame Beziehung eine freie Entscheidung oder habe ich Angst vor dem Verlassen werden? Ist meine offene Beziehung meine freie Wahl, die aus dem Herzen kommt, oder habe ich Angst, mich tief einzulassen? Habe ich Illusionen von Liebe? Lebe ich nach (spirituellen) Dogmen? Wo und wie projiziere ich? Wo und wie kann ich mich weiterentwickeln? 

Gemeinsam fliegen können wir nur mit ausgebreiteten Flügeln! Und die Flügel des Vogels sind – davon bin ich überzeugt – genau wie die Hände des Menschen eine Erweiterung des Herzens!